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Wirkt Meditation eigentlich unabhängig von sozialer Herkunft und Bindungstyp?

Oft kommen Themen rund um Meditation und Achtsamkeit im Kontext von und abgestimmt auf weiße, der (oberen) Mittelschicht angehörige Frauen mittleren Alters daher (sogar in der Meditationsforschung). Die Popularität ist zwar insgesamt stark gewachsen, aber trotzdem nach meiner Wahrnehmung fokussiert auf ein bestimmtes Klientel.

Sehr interessant finde ich daher die folgende aktuelle Studie, die untersucht wie sich unsichere Bindungstypen auf die emotionsregulierenden Effekte von Meditation bei Menschen auswirkt, die in einem Haushalt mit niedrigem sozioökonomischem Status aufgewachsen sind.

Ich habe persönlich sehr viele positive Erfahrungen mit Meditation und Achtsamkeitsübungen gemacht, sowohl für mich selbst als auch in der Arbeit mit meinen Coaching Klient:innen. Die differenzierten, aber grundsätzlich positiven Erkenntnisse der Studie zeigen für mich auf, dass Meditation und Achtsamkeit sehr sinnvoll auch in anderen sozioökonomischen Kontexten eingesetzt werden können.

Die Studie vergleicht außerdem zwei Meditationsarten und ihre Effekte auf Menschen mit zwei verschiedenen unsicheren Bindungstypen und damit auch zwei sehr unterschiedlichen Erlebenswelten. Diese Differenzierung bringt weitere spannende Erkenntnisse.

Anbei fasse ich einige wichtige Elemente und Erkenntnisse der Studie zusammen (was natürlich auch einige Auslassungen und Ungenauigkeiten mit sich bringt – wer nachlesen möchte, kann sich gerne bei mir melden).

 

Zusammenfassung 

Untersucht wurden Menschen, die in einem Haushalt mit niedrigem sozioökonomischen Status aufgewachsen sind und entweder einen unsicher-ambivalenten oder einen unsicher-vermeidenden Bindungsstil aufweisen. Die 12-wöchige Studie umfasste 6 Wochen Meditationsprogramm in zwei Varianten: Achtsamkeit (Mindfulness) und liebevolles Mitgefühl (Loving-Kindness).

Insbesondere Teilnehmer:innen mit einer durchschnittlich bis stark unsicher-ambivalenten Bindung (attachment anxiety) konnten von der Mindfulness Meditation langfristig durch die Reduktion negativer und den Anstieg positiver Emotionen profitieren.

Auf Tagesbasis wirkten sich beide Arten der Meditation positiv auf die Emotionsregulation von Menschen mit einer starken unsicher-ambivalenten Bindung aus (im Gegensatz zu Menschen mit einer leichten unsicher-ambivalenten Bindung).

Für Menschen mit stark unsicher-vermeidendem Bindungsstil konnten leichte Indizien dafür gesammelt werden, dass sich die negativen Emotionen mit beiden Meditationsarten auf Tagesbasis reduzieren lassen (im Gegensatz zu Menschen mit einer leicht unsicher-vermeidender Bindung). Es konnte allerdings kein klar signifikanter Zusammenhang festgestellt werden, ebensowenig ein Unterschied zwischen den beiden Meditationsarten.

 

Begriffs- / Konzeptklärung

Zum besseren Verständnis ist anbei eine Begriffs- / Konzeptdefinitionen der in der Studie verwendenden Zentralen Konzepte (stark verkürzt).

Mindfulness Meditation (MM) fokussiert sich auf die Beobachtung des Erlebens des aktuellen Moments und die Kultivierung einer akzeptierenden, offenen Einstellung gegenüber dem Erleben, wie auch immer es sich darstellen mag. Es fördert eine innere Distanzierung zu den eigenen Gedanken und Emotionen, anstatt sich vollständig durch sie einnehmen zu lassen.

Loving-kindness Meditation (LKM) fokussiert sich auf die Kultivierung warmherziger, mitfühlender Gefühle gegenüber Individuen. Diese Individuen beinhalten sich selbst, eine geliebte Person, eine flüchtige Bekannte, einer Person mit der die meditierende Person Schwierigkeiten hat und letztendlich alle Lebewesen. Diese Art der Meditation hat damit einen sozialen, zwischenmenschlichen Fokus.

Eine unsichere Bindung kann sich in der Kindheit entwickeln, wenn die Bezugspersonen harsch, unnahbar, inkonsistent oder auch gewalttätig sind. Dadurch entsteht ein beständiges Gefühl der Schutzlosigkeit vor Bedrohungen und dass man sich nicht unbedingt auf andere Menschen verlassen kann, wenn man Schutz und Trost benötigt.

Der Subtyp einer unsicher-ambivalenten Bindung wird charakterisiert durch Angst vor dem Alleinsein oder Verlassen werden und steht im Zusammenhang mit Schwierigkeiten der Emotionsregulation. Hierzu gehört das Erleben von intensiven und regelmäßigen negativen Emotionen sowie die Schwierigkeit positive Emotionen auszukosten, ohne dass sie sich mit Angst oder Unsicherheit vermischen.

Der Subtyp einer unsicher-vermeidenden Bindung wird charakterisierst durch Schwierigkeiten Nähe und Abhängigkeit von anderen Menschen zuzulassen, die Bevorzugung von Unabhängigkeit und generelles Misstrauen gegenüber anderen. Menschen mit diesem Subtyp tendieren dazu, sowohl positive als auch Emotionen runter zu regulieren, insbesondere im zwischenmenschlichen Kontext. Dies erlaubt es, eine Distanz aufrecht zu halten und sich so vor potentiellen Beziehungsgefahren zu schützen.

 

Mögliche theoretische Erklärung der Ergebnisse

Was sind mögliche Erklärungen dafür, dass Teilnehmer:innen mit einer durchschnittlich bis stark unsicher-ambivalenten Bindung besonders von Mindfulness Meditation profitieren konnten?

Mindfulness Meditation konnte in früheren Studien konsistent mit einer verbesserten Emotionsregulation in Verbindung gebracht werden. Daher kann angenommen werden, dass besonders stark unsicher-ambivalent gebundene Menschen, die besondere Schwierigkeiten mit Emotionsregulation haben, auch besonders profitieren können. Dies geschieht durch die Kultivierung von urteilsfreier Beobachtung, Akzeptanz und das vorbei ziehen lassen von Gedanken und Emotionen, wobei der Akzeptanz eine besondere Bedeutung zukommt. Diese Gleichmut-fördernde Haltung kann die Intensität und Häufigkeit negativer Gedanken und Emotionen reduzieren. Gleichzeitig kann dadurch die Wahrnehmung und Akzeptanz von positiven Gedanken und Emotionen gefördert werden.

Was sind mögliche Erklärungen dafür, dass Teilnehmer:innen mit einer durchschnittlich bis stark unsicher-vermeidenden Bindung nicht signifikant stärker von einer der beiden Meditationsarten profitieren konnten?

Bezüglich der Mindfulness Meditation hypothetisieren die Forscher, dass die Förderung einer gleichmütigen, akzeptierenden, aber auch distanzierten Haltung das unterschiedliches Erleben bereits stark unterdrückter Emotionen nicht fördert. Bezüglich der Loving-Kindness Meditation hypothetisieren die Forscher, dass die Kultivierung positiver Emotionen ggf. Abwehrreaktionen hervorzuruft oder sogar zusätzliche negative Emotionen entstehen durch den Versuch, nicht authentisch gefühlte positive Emotionen zu verstärken.

Da es sich hierbei um erste Erklärungsversuche handelt, ermutigen die Autor:innen der Studie zu weiterer Forschung, die die Ergebnisse konkretisieren und bestätigen oder ggf. neue Erklärungsmodelle entwickeln können. Auch ich wäre sehr an weiterer Forschung in dieser Richtung interessiert.