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Leitprozess Selbstausdruck: Was zeige ich von meinen inneren Regungen und was verberge ich?

Jeder kennt Situationen, in denen das Gegenüber etwas sagt, das so ganz und gar nicht dem entspricht, was durch Mimik, Körpersprache, Tonlage und/ oder Atmosphäre ankommt. Oder man hält eine Präsentation und einer Person kann man die Meinung zu jedem Absatz so sehr im Gesicht ablesen, dass man fast den Fokus verliert und nachfragen möchte. Andere verunsichern einen dadurch, dass man nie wirklich weiß, wie sie denken und fühlen, ob man ihnen sympathisch ist oder nicht, oder wie das Meeting laufen wird, wenn sie in den Raum kommen.

Der Ausdruck unseres Gegenübers ist aber für uns als soziale Wesen seit tausenden von Jahren von größter Bedeutung, da er uns Orientierung gibt: Freund oder Feind? Droht Gefahr oder kann ich mich entspannen?

Ob man das, was in einem vorgeht, in den Ausdruck bringt, kann sowohl funktional als auch dysfunktional sein. Je nachdem in welchem Kontext und in welcher Rolle man sich bewegt, kann es sehr sinnvoll sein, z.B. die Empörung über ein:e Kolleg:in nicht in den Ausdruck zu bringen oder im Gegenteil die Begeisterung für ein Thema voll durchdringen zu lassen.

Wie sehr wir auch meinen, unsere Mimik unter Kontrolle zu haben, lassen sich doch nur die bewussten Impulse verbergen. Wenn ich mir also meiner eigenen inneren Regungen nicht bewusst bin, dann gelangen sie ggf. in den Ausdruck und haben eine entsprechende Auswirkung auf mein Gegenüber.

Problematisch wird es, wenn man die eigenen inneren Bewegungen dauerhaft verbirgt, z.B. in Folge einer Traumatisierung. Die Dauererregung des Nervensystems schadet dann nicht nur körperlich, sondern führt auch zu einer Verflachung und fehlenden Lebendigkeit. Durch die chronische Verunsicherung des Gegenübers entstehen so immer wieder ungünstige Kontakterfahrungen, die einem oft selbst ein Rätsel bleiben. Ähnlich verunsichernd und den Kontakt störend ist es, wenn alles jederzeit zum Ausdruck gebracht wird.

Denn: authentisch bedeutet NICHT, alles zu zeigen! Sondern es bedarf einer selektiven Authentizität, bei der passend zur Rolle die inneren Regungen gezeigt oder verborgen werden, gerade im beruflichen Kontext und auch als Coach.

Der Leitprozess Selbstausdruck der Metatheorie der Veränderung ist für mich ein Goldschatz: Die Fülle an Informationen die man erhält, wenn man detailliert den Ausdruck des Gegenübers wahrnimmt, ist wirklich erstaunlich. Über die kontaktvolle Spiegelung des Ausdrucks meiner Coachees kann so ein ganz neuer Zugang zu bisher unbewussten Themen ermöglicht werden.

Mehr zum Leitprozess nachlesen könnt ihr hier: https://lnkd.in/eMHkDuy9

Auf Basis der Diskussionen in den Kommentaren meines LinkedIn Posts, möchte ich noch folgende wichtigen Anmerkungen ergänzen, auch wenn sich sicherlich auch hier wieder Unvollständigkeiten und Ungenauigkeiten auftun werden:

  • Bei der Metatheorie und dem Leitprozess Selbstausdruck handelt es sich um eine Beschreibung und Konzeptionalisierung psychodynamischer Prozesse. Diese versuchen u.a. zu erklären, warum bestimmte Interventionen im Coaching wirksam sind oder auch nicht. Die verwendeten Begriffe sind deskriptiv / technisch zu verstehen.
  • Es handelt sich nicht um eine normative Beschreibung, wie jemand oder wie eine soziale Interaktion sein sollte oder wie innerhalb eines organisationalen Kontext mit bestimmten Themen umgegangen werden sollte.
  • Der Post beinhaltet nicht den Aufruf, die beschriebenen Zusammenhänge (ungefragt) in die Interaktion zu bringen (und z.B. jemandem eine Traumatisierung zuzuschreiben)
  • Wenn ich einen Aufruf / call-to-action formulieren müsste, dann wäre es vermtl. dieser hier: “Wir Menschen sind hoch spannende Wesen und es lohnt sich, sich näher mit der Psychologie auseinanderzusetzen. Wenn du als Coach arbeitest, dann ist die Metatheorie eine Theorie (von vielen), mit der es sich zu beschäftigen lohnt.”