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Gibt es so etwas wie neutrale, objektive Beobachtungen überhaupt?

In meiner Arbeit als Coach versuche ich oft, auch die „reine“ Beobachtungsperspektive einzubringen und zu fördern. „Was kannst du beobachten, das jeder andere Beobachtende bestätigen würde? Und was ist deine eigene Interpretation?“ frage ich in diesem Zusammenhang gerne.

Und annäherungsweise lässt sich auch oft eine Beobachtungsebene finden, die ausreichend von subjektiven Interpretationen bereinigt ist. So kann man sich auch bei widersprüchlichen Positionen auf eine gemeinsame Beobachtung einigen. Oder es ermöglicht, sich die eigene Subjektivität bewusst zu machen.
Aber ist es überhaupt möglich und sinnvoll zu versuchen, die eigene Subjektivität zu eliminieren?

Das Zitat von Gadamer fasst für mich wunderschön zusammen, wie wir uns unserer zutiefst menschlichen Subjektivität versöhnlich nähern und trotzdem über sie hinauswachsen können.
Als Mensch brauche ich immer eine gewisse Subjektivität, um dem Geschehen um mich herum überhaupt irgendeine Bedeutung beimessen zu können. Ich starte also immer mit einer Vielzahl an Annahmen, Hypothesen und Erfahrungen als Skizze dessen, was ich wahrnehme. Und einen substanziellen Teil meiner Grundannahmen werde ich mir auch nicht bewusst machen können – zumindest nicht für einen gegebenen Zeitpunkt und eine gegebene Situation.

In mir entsteht durch das Zitat ein inneres Bild. Ich stehe in der Natur und blicke in den Horizont. Ich erkenne ihn, auch wenn ich ihn vielleicht nicht an allen Stellen scharf sehen kann. Und wenn ich dann auf einen kleinen Felsbrocken steige, also eine andere Perspektive einnehme, verändert sich der Horizont etwas. Manchmal sind es nur Feinheiten, auf einmal sehe ich an einer Stelle scharf, die vorher noch verschwommen war oder ich kann ein paar Meter weiter in eine Richtung blicken. Und manchmal sind es große Änderungen, ich erkenne auf einmal die Gebirgskette, die vielleicht schon immer da war, die ich nun aber zum ersten Mal vor mir sehe und die mich in ihre Größe und klaren Präsenz erschüttert.

Diese innere Bild kann ich in verschiedensten Situationen als Indikator nutzen.
Wenn zum Beispiel das Gefühl entsteht, dass ich meinen Horizont ganz klar erfasst habe, kann ich nach einem Felsbrocken Ausschau halten. Oder wenn ich meine, ganz ohne Horizont in die Weite zu schauen, dann weiß ich doch, dass mein Horizont da ist und ich ihn nur gerade nicht erfassen kann. Und dass auch das völlig in Ordnung ist.
Wie seht ihr das und wie geht ihr mit euren eigenen Horizonten um?

Zu dem Post inspiriert hat mich das Buch “Relationalität in der Gestalttherapie: Kontakt und Verbundenheit” von Frank-M. Staemmler