post img

VERÄNDERUNG LIEBEN LERNEN #2 – In der Krise

In dieser Ausgabe meines Newsletters sollte es eigentlich um Lebenswege gehen. Passend zum Go-live des Podcasts WEGE, den ich gemeinsam mit der wunderbaren Astrid Dobmeier gestartet habe.

Worüber im Krieg schreiben, wenn man kein Kriegsreporter ist?

Nun ist seit 3 Wochen Krieg in Europa und wie bei vielen von euch ändert sich mein „Redaktionsplan“ (auch wenn man meine losen Gedanken im Kopf so eigentlich nicht wirklich nennen kann). Doch worüber soll ich dann schreiben? Kann ich hier wirklich noch etwas sagen, das einen Mehrwert liefert oder, noch besser, das Leid lindert? Auf meiner Website teile ich Konkretes zur Hilfe für die Ukraine inkl. vieler nützlicher Links. In dieser Newsletter-Ausgabe geht es etwas weiter gefasst um das Thema „In der Krise“.

Das Phänomen der Krise hätte übrigens auch beim Thema Lebenswege viel Raum eingenommen. Du kommst um die Krise also nicht herum, weder im Leben noch hier bei meinem Newsletter.

„Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ hat Max Frisch gesagt. Das Zitat scheint zynisch im Kontext von Krieg und unfassbarem Leid. Eine kleine Erinnerung am Rande: dieses unfassbare Leid herrscht nicht nur in der Ukraine, sondern seit Langem auch an anderen, uns emotional und geografisch weiter entfernten Orten. Und auch die zwei Corona Jahre behalten den Beigeschmack der Katastrophe. Produktiver Zustand – weit gefehlt!

In der Krise braucht es Neues, wo es uns doch so sehr in alte Gewissheiten zieht. Putin ist der Böse, Selenskyj ist der Held. Puh, Weltbild gerettet. Damit hier kein Raum für Missverständnisse entsteht: ich verurteile den Angriff von Putin aufs Schärfste und bewundere, wie Selenskyj und das ganze ukrainische Volk über sich hinauswachsen. Aber mein Fachgebiet ist nicht die Geopolitik, sondern Veränderung und persönliche Weiterentwicklung. Ich teile also auch in dieser Situation persönliche Gedanken zum Thema Weiterentwicklung und Veränderung, nur diesmal im Kontext der Krise.

An dieser Stelle ein wichtiger Hinweis: die großen Krisen und Weiterentwicklungen habe ich alle nicht alleine bewältigt. Und das ist für mich kein Zeichen von Schwäche, sondern ein ganz normaler Aspekt des menschlichen Lebens als soziales Wesen. Welche Art von Unterstützung es braucht (z.B. Freunde, ein Coach, ein:e Psychotherapeut:in), gilt es immer wieder neu herauszufinden. #MentalHealthMatters

Sprachlos

Ich bin sprachlos und doch reicht ein einzelner Newsletter nicht, um dieser Sprachlosigkeit Raum zu geben. Ohnmachtstoleranz ist hier ein gutes Stichwort, das Klaus Eidenschink hier in seinem Beitrag so wunderbar zusammenfasst.

Vielleicht ist auch das ein Grund, warum ich mich erst mit Verzögerung hier auf LinkedIn zum Ukraine-Krieg äußere. Dieser virtuelle Raum, der doch so viele Aspekte des Lebens für mich verbindet, hat mir meine ganze eigene Hilflosigkeit bewusst gemacht. Und entgegen meiner sonstigen Handlungspräferenz habe ich daher einfach erst mal nichts getan. Und auch jetzt dieser Newsletter fühlt sich nicht ganz richtig an und das ist ok so.

Es ist in Ordnung, wenn sich in Zeiten der Krise gar nichts gut und richtig anfühlt. Es ist ok, wenn es sich nicht gut anfühlt, nichts zu tun. Und es ist ok, wenn sich auch alle zur Verfügung stehenden Handlungen nicht gut anfühlen, egal wie lange man es dreht und wendet. Und doch schreitet die Zeit unaufhaltsam voran, wir werden getan haben oder eben nicht getan haben und dann mit dem Ergebnis leben müssen.

Tue Gutes und rede (nicht) darüber?

Wer mich kennt weiß, dass ich idealistische Weltverbesserungstendenzen und damit auch einen Hang zum Aktivismus habe. Auch wenn ich kleinmütig zugeben muss, dass letzterer zwar immer wieder aufblüht, dann aber doch vom komfortablen Business Alltag verschluckt wird und auf Sparflamme läuft.

Tue Gutes und rede darüber. Ich bin immer wieder hin und her gerissen, über meine eigenen Aktivitäten zu sprechen. Ich will nicht ins Selbstdarstellerische abgleiten und dafür gelobt werden, was ich tue. Dafür ist meine eigene Situation viel zu komfortabel und privilegiert. Aber wenn ich sehe, dass es andere Menschen inspiriert nicht in einen Modus zu verfallen, in dem sie glauben selbst nichts ausrichten zu können, dann ist es das Ganze für mich wert.

Nun habe ich mich zu einem etwas größeren Schritt entschieden: ich werde https://alliance4ukraine.org in den nächsten 6 Wochen als ehrenamtliche Projektmanagerin unterstützen. Ich koordiniere dort das Handlungsfeld “Mentale Gesundheitsversorgung”, ein Thema das mir sowieso sehr am Herzen liegt. Dank einiger verständnisvoller Klienten, unterstützender Kolleg:innen und 2 eigentlich für Urlaub freigehaltenen Wochen kann ich so immerhin mit 60-90% Kapazität unterstützen. Ich bin schon ziemlich aufgeregt und hoffe, gemeinsam mit dem ganzen Netzwerk aus Organisationen und Freiwilligen viel bewirken zu können!

Jenseits der Alltagskrisen liegt die Vorher-Nachher Magie

Was genau heißt es denn nun, in der Krise zu sein? Alltagskrisen kennen wir alle: die Präsentation ist noch nicht fertig, das Abendessen verbrannt und die Katze hat auf den Teppich gekotzt.

Aber hast du selbst schonmal eine Vorher-Nachher Krise durchlebt? Eine Krise, nach der das Leben nie wieder so war wie vorher? Bei mir gab es mindestens eine, wenn ich länger nachdenke, wahrscheinlich doch eher drei bis vier. Die Absolutheit dieser Art von Krisen ist gleichzeitig das, was sie so wertvoll macht. Man kann gar nicht anders, als sie an sich heranzulassen, sich von ihnen mitreißen und herabziehen lassen, nur um dann mühsam aus dem Strudel wieder an die Oberfläche zu schwimmen. Und wenn ich dann wieder an der Oberfläche angelangt bin, nach Luft schnappend, Wasser hustend, völlig erschöpft und mit verschwommenem Blick, dann weiß ich doch eins: dass ich es geschafft habe.

Es wurde kein Alt-Text für dieses Bild angegeben.

„We can do hard things” sagt Glennon Doyle, deren Buch Untamed ich verschlungen habe. Krisen helfen uns dabei, uns selbst zu überwinden. Sie stellen das in Frage, was bisher so selbstverständlich war, dass wir nicht mal wussten, dass man es überhaupt in Frage stellen kann. Und dann passiert das, was ich in Veränderungen als magisch erlebe. Unser Bewusstsein erweitert sich, wir sehen auf einmal etwas, was schon immer da war und sich nur bisher unserer Wahrnehmung entzogen hat. Und während wir noch um Luft ringen, die Beine schwer und müde sind vom Strampeln gegen den Strom, merken wir wie daraus etwas Neues entsteht.

Du liest diese Worte, kannst sie aber nicht richtig greifen? Du weißt genau was ich meine, hast aber schon genug solcher Krisen durchlebt und jetzt reicht es? Dann lade ich dich an dieser Stelle ein, dich ganz bewusst auf die Krise einzulassen und bei aller Abwehr, Verzweiflung und Taubheit das Produktive in der Krise zu suchen.

Der Krieg gegen die Ukraine bietet hierfür eine neue Chance. Schon wieder blitzt das Zynische durch. Kann man wirklich Leid und Tod anderer Menschen als Anlass zur Weiterentwicklung nutzen? Ich habe darauf keine Antwort, sondern eine Gegenfrage. Ist es nicht viel zynischer, wenn wir es diese Chance an uns vorüberziehen lassen? Ähnlich wie wir es als Gesellschaft in sehr vielen Punkten bei Corona getan haben?

Ja zum Leben heißt auch Ja zu Leid und Tod

Das Leid und den Tod gibt es trotzdem, es sind unabänderliche Aspekte unseres Lebens, die es zu akzeptieren und zu integrieren gilt. Und nein, das nimmt ihnen nicht ihren Schrecken. Es ermöglicht uns aber, den Schrecken an die Hand zu nehmen und Schritt für Schritt in einen lebensbejahenden Modus zu wechseln. Es ermöglicht uns, nicht in der Verzweiflung, Leugnung oder konstanten Gegenwehr zu verharren.

Denn wenn wir den Strudel leugnen und nicht wahrhaben wollen, dann zieht er uns unweigerlich in die Tiefe. Und vielleicht fühlt sich das zuerst auch nach der richtigen Richtung an. Aber wenn du dich schon mal nach oben gekämpft hast („The Struggle“) und mit den ersten keuchenden Atemzügen in jeder Faser deines Körpers das pure Leben gespürt hast, dann entsteht eine Ahnung, was lebensbejahend wirklich heißt.

Und wenn du dich dann um Atem ringend umschaust und deine Verbündeten siehst, die aus dem Wasser auftauchen, dann fühlst du dich ein Stück weniger allein. Dann können wir gemeinsam herausfinden, wie wir dem nächsten Abwärtsstrudel begegnen und die Welt ein Stück besser machen können – angefangen mit uns selbst. Denn bei aller Reflektiertheit und systemischem Denken ist mein eigener idealistischer Anteil einer, der niemals ganz untergehen wird.

In diesem Sinne: akzeptiere den Strudel, aber schwimm gegen die Krise und hinein ins Leben. Bis zum nächsten Mal!

Es wurde kein Alt-Text für dieses Bild angegeben.